Deutschland: GrĂ¼nder wagen es trotz Corona

Geschlossene Geschäfte, abgesagte Messen und potenzielle Kunden, die lieber zu Hause bleiben: Im ersten Moment klingt das nicht gerade nach den besten Bedingungen, um sich mit einem Unternehmen selbstständig zu machen. 

So sei auch die Zahl der ExistenzgrĂ¼ndungen im vergangenen Jahr zurĂ¼ckgegangen, erwartet die KfW Bankengruppe. Viele GrĂ¼ndungsplanungen seien zu Beginn der Corona-Krise auf Eis gelegt worden, sagt Chefvolkswirtin Fritzi Köhler-Geib. Einige seien zwar im zweiten Halbjahr nachgeholt worden. «Die GrĂ¼ndungstätigkeit war 2020 insgesamt aber dennoch schwächer als im Jahr davor.» Genaue Zahlen legt die Förderbank erst später vor.

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Professor Armin Pfannenschwarz, der an der Dualen Hochschule Baden-WĂ¼rttemberg (DHBW) in Karlsruhe den Studiengang Unternehmertum leitet, zufolge mĂ¼sse die Pandemie aber nicht zwingend ein Argument gegen GrĂ¼ndungen sein. «Sie bietet viele gute Ansätze zu grĂ¼nden, weil vieles in Bewegung ist», sagt er. Das könne der Anlass sein, etwas Neues zu beginnen.

So baut etwa Noel Lindenberg ausgerechnet im coronageschwächten Gastrobereich gerade ein Brunch-Café in Karlsruhe auf. Losgehen soll es im Sommer. «Die gute Zeit, um zu starten», sagt er.

Blazenka Wieland brachte im benachbarten Ettlingen eine hautschonende Kosmetikmarke auf den Markt. «Die wächst langsamer als geplant», sagt sie. Sie könne aber ruhig schlafen. Zumal Corona nicht zu erwarten war. «Man rechnet ja mit allem, aber nicht mit einer Pandemie.»

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Und Alexandros Taflanidis aus Filderstadt bei Stuttgart hat mit Freunden in MĂ¼nchen einen Internetshop fĂ¼r nachhaltige Sportkleidung gegrĂ¼ndet. «Das war vielleicht gepusht durch Corona», sagt er. Superschnell hätten sie Termine fĂ¼r Video-Konferenzen bekommen. Selbst Verträge wurden online unterzeichnet.

Erstmals seit Jahren war die Zahl der GrĂ¼ndungen 2019 wieder gestiegen – um rund 58 000 auf 605 000. Die KfW erklärte das mit der Konjunktur und der Lage am Arbeitsmarkt. Pfannenschwarz sieht aber auch einen generellen kulturellen Wandel. «Das GrĂ¼ndungsklima hat sich verbessert.» Gefördert etwa durch TV-Sendungen wie «Die Höhle der Löwen» gelte es als hip zu grĂ¼nden. Die Start-up-Landschaft in Deutschland hat die Corona-Krise laut einer im Januar präsentierten Studie der Beratungsgesellschaft EY bis dato auch recht gut verkraftet. Gelder von Investoren fĂ¼r GrĂ¼nder flössen weiter.

In Deutschland werde inzwischen auch eher akzeptiert, dass es mal schiefgeht, hat DHBW-Mitarbeiter Christian Brandstetter beobachtet. «Selbst bei einem gescheiterten Projekt nimmt man viel Erfahrung mit.» Im Schnitt sei eines von zehn GrĂ¼ndungsvorhaben erfolgreich. Es gebe aber wenige richtig negative Fälle, sagt Pfannenschwarz. «Sobald es um Geld geht, werden die Leute vorsichtig.» Wer merkt, dass ein Projekt nicht wie geplant funktioniert, breche relativ schnell ab.

Dabei sind die Voraussetzungen recht gut. Es gebe viele Möglichkeiten, Kontakte zu knĂ¼pfen, sagt Brandstetter. Vorlesungen an Unis und viele Förderprogramme kämen hinzu. Auch wenn Messen infolge von Corona ausfielen, seien zig Angebote schnell ins Netz verlagert worden. Die IHK Karlsruhe beispielsweise hatte ab März Seminare fĂ¼r GrĂ¼nder als Online-Veranstaltung angeboten. Nach einem Einbruch im April und Mai 2020 hätten die Zahlen ab Juni wieder das alte Niveau erreicht, bilanziert eine Sprecherin.

Deutschland gelte als Land mit den besten Fördermöglichkeiten, sagt Pfannenschwarz. Der Politik gehe es darum, dass die Zahlen steigen. «Und natĂ¼rlich fĂ¼hrt das irgendwann zum Erfolg, wenn man Geld reinsteckt», sagt der Professor. Doch volkswirtschaftlich relevant seien groĂŸe Vorhaben und nicht einzelne Nagelstudios oder eine neue App. Die Menge der interessanten Projekte sei allerdings eher gering.

Corona bremst den GrĂ¼ndergeist zusätzlich. Einschränkungen des öffentlichen Lebens oder Lockdowns in kompletten Branchen erschwerten die Kundengewinnung, erläutert ein KfW-Sprecher. In einem solchen Umfeld zu grĂ¼nden sei äuĂŸerst schwierig. «Das ist gerade fĂ¼r neue Unternehmen, die noch keinen Kundenstamm aufgebaut haben, eine enorme Herausforderung.» Andererseits habe die Krise neue Bedarfe geschaffen und es hätten sich neue Geschäftsgelegenheiten ergeben. «Insbesondere digitale Geschäftsmodelle dĂ¼rften davon profitieren.»

Taflanidis hat das FĂ¼r und Wider auch bei der GrĂ¼ndung von Planetics gespĂ¼rt: Vieles laufe digital schneller, selbst die Investorensuche klappe online. «Aber es ist etwas schwieriger, Vertrauen zu gewinnen», sagt er. Die Körpersprache komme bei Videoschalten nicht so zur Geltung. Wieland wiederum musste die Vermarktung von «Shine a light» kurzfristig umplanen. «Damit ein Online-Shop gut läuft, muss die Akzeptanz der Marke da sein.» Doch Kosmetikinstitute seien geschlossen gewesen, hätten also keine neuen Produkte geordert. Daher habe sie kurzerhand eine TV-Kampagne vorgezogen. Als Corona in Deutschland auftauchte, habe die Produktion kurz bevorgestanden. Da sei an ein Aufhören nicht zu denken gewesen, sagt sie.

Ă„hnlich erging es Lindenberg mit seinem CafĂ©. Schon vor Corona hatte er mit den Plänen begonnen, vor allem mit dem zweiten Lockdown hätten die Banken ihre Anforderungen verschärft. «Fixkosten rollen wie verrĂ¼ckt los», sagt der Unternehmer. Doch das Projekt sei schon zu weit fortgeschritten gewesen, er habe zu viel Geld investiert gehabt fĂ¼r einen Abbruch. «WĂ¼rde ich jetzt aus den Verträgen rausgehen, wäre das mit sofortiger Insolvenz verbunden», sagt Lindenberg. «Es ist schon eine heftige Zeit, um zu grĂ¼nden.»

Gerade in der Gastronomie könnte es aber einen regelrechten GrĂ¼ndungsboom geben, sagt DHBW-Professor Pfannenschwarz. Es bereiteten sich jetzt schon Leute gezielt auf die Zeit nach Corona vor. «Die sagen sich: Da wird gefeiert, bis der Arzt kommt – die Welle will ich mitnehmen.» Ăœberhaupt könnte sich aus seiner Sicht eine neue Berufsgruppe etablieren: Menschen, die regelmĂ¤ĂŸig neu grĂ¼nden. «Das werden Spezialisten fĂ¼r die frĂ¼he Phase», sagt Pfannenschwarz. «Und wenn es läuft, dann mĂ¼ssen Manager zur Qualitätssicherung nachrĂ¼cken.»

dpa

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